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Dabei hilft in einem ersten Schritt ein kurzer Blick zurück: Es folgen Schlaglichter auf die digitale Transformation und die Entkopplung von Wertschöpfungsketten. Und dann gehen wir noch mit Darwin auf den Spielplatz.Abb. 1: Meilensteine der Digitalisierung
Quelle: https://www.digitalroadmap.gv.at/fileadmin/downloads/digital_road_map_broschuere.pdf
Die Digitalisierung aller Lebensbereiche wird sich, nicht zuletzt befördert durch die Corona-Pandemie, in Zukunft noch weiter beschleunigen. Im Jahr 2016 führt die Digital Roadmap der österreichischen Bundesregierung mit einem Rückblick in die Thematik ein und veranschaulicht entlang eines Zeitstrahls die Meilensteine der Digitalisierung seit 1990. Damals wurde die Universität Wien als erster österreichischer Knoten ans Internet angeschlossen. Die historische Perspektive schafft ein Bewusstsein für die Errungenschaften und Selbstverständlichkeiten der Gegenwart. Im Juni 2020 haben sich die Prämissen grundlegend geändert, ebenso die Rhetorik. Der Digitale Aktionsplan der Bundesregierung gibt sich zukunftsorientiert und kämpferisch, proklamiert wird die „Digitale Transformation als Weg aus der Krise“.
Neben der globalen Corona-Krise setzt auch die Wirtschaftsmacht China Europa und den heimischen Markt unter Druck. Um konkurrenzfähig zu bleiben, muss Österreich in Innovation, Forschung und Bildung sowie in digitale Geschäftsmodelle investieren, heißt es in einem Strategiepapier der Wirtschaftskammer (WKO) vom April 2019. Wo genau aber liegt das größte Entwicklungspotential im Bereich Innovation für österreichische Unternehmen? Welche Digitalisierungsstrategien sind zukunftsweisend, fair und nachhaltig?
Unzählige Studien, White Papers und Broschüren widmen sich diesen Fragen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen, Tools und Konzepte sollen Unternehmen dabei unterstützen, gesellschaftliche und ökologische Themen zu adressieren und gleichzeitig Profite zu generieren. Denn soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz werden weiterhin DIE Zukunftsthemen für die Wirtschaft bleiben. Getreu der Devise „Investition schafft Innovation“ geht es darum, umfassende Aktivitäten zielgerichtet umzulenken, um gemeinsam die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen umzusetzen.
Wer die Zukunft mitgestalten will, muss Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft übernehmen. Insofern sind die Themen Nachhaltigkeit und Innovation eng miteinander verwoben. Doch wo sollen Unternehmen ansetzen? Viele ForscherInnen und BeraterInnen geben diesbezüglich Anleitungen oder zumindest Anregungen. Vor einer Hürde bzw. sogar Gefahr wird dabei immer wieder gewarnt: Die Lawine der agilen und hungrigen Start-ups, die den etablierten Unternehmen Geschäftsfelder, Kundschaft und in Folge die Daseinsberechtigung stehlen.
Thales Teixeira, Professor an der Harvard Business School, erforscht die spezifischen Strategien, durch die viele Start-ups einen Wettbewerbsvorteil erlangen: Ihre Geschäftsmodelle beruhen darauf, dass sie die Kundschaft von etablierten Unternehmen abwerben indem sie jene Verbindungen aufbrechen, durch die Produkte und Dienstleistungen entdeckt, gekauft und genutzt werden. Gespickt mit anschaulichen Beispielen ist Teixeiras „Unlocking the Customer Value Chain“ (2019) ein Leitfaden, um die digitale Disruption zu entmystifizieren.
Demnach ist die eigentliche Ursache für die meisten digitalen Disruptionen nicht eine neue Technologie. Zum Beginn des neuen Millenniums war Nokia der Handy-Hersteller schlechthin. In den Jahren drauf investierte der finnische Konzern in Smartphones mit Touchscreens und wurde mehrfach mit Innovationspreisen ausgezeichnet. Doch neben Apple und Samsung begann der Absatz zu schwächeln, dann brach er ein. 2013 wurde schließlich die Handysparte an Microsoft verkauft. Heute macht Nokia sein Hauptgeschäft als Netzwerkausrüster und treibt die Entwicklung von 6G voran. Seit der Firmengründung 1865 mit einer Papiermühle - nahe dem kleinen Fluss Nokianvirta - hat sich Nokia schon öfters neu erfunden.
Das Schicksal jedes Unternehmens liegt in den Händen der Kundinnen und Kunden. Diese strömen zu neuen Geschäftsmodellen, die ihnen mehr Kontrolle und mehr Nutzen bieten. Technologie verstärkt diese Tendenzen lediglich. Wenn Unternehmen also innovativ sein wollen, sollten sie in erster Linie ihre Klientel besser kennenlernen.
Abb. 2: The Customer Value Chain
Quelle: https://summaries.com/blog/unlocking-the-customer-value-chain
Der wunde Punkt vieler traditioneller Unternehmen ist ihre breite Aufstellung und die Annahme, dass die Kundinnen und Kunden alle Aktivitäten der gesamten Wertschöpfungskette mit ihnen durchführen: sich über eine Ware oder Dienstleistung informieren, sie erwerben, in Besitz nehmen, verwenden und entsorgen. Schwachstellen in dieser langen Wertschöpfungskette werden von agilen Start-ups erkannt und genutzt. Folgt man Teixeira, gab es seit Mitte der 1990er Jahre drei Wellen des digitalen Umbruchs. Im ersten Stadium, dem sogenannten „Unbundling“, konnten einzelne Produkte bzw. Inhalte plötzlich voneinander gelöst und häppchenweise konsumiert werden, beispielsweise einzelne Songs einer CD. Ab Ende der 1990er Jahre konnten Waren und Dienstleistungen auch kleinteilig und direkt an die Endkundschaft geliefert werden, damit wurden klassische Vertriebswege und Zwischenhandel hinfällig, z.B. wird die direkte Buchung von Flügen und Hotelzimmern möglich. Seit den 2010er Jahren zeigt sich ein Trend zum „Decoupling“: Neugründungen konzentrieren sich zunehmend darauf, lukrative einzelne Aspekte eines Produkts oder eines Service herauszupicken, also gezielt Dinge und Dienste anzubieten, die für den Nutzenden Mehrwert schaffen oder ihr/ihm Zeit und Geld sparen. In jeder Welle wurde ein Stück der Wertschöpfungskette aufgebrochen und neu verteilt.
Wir wissen nicht, wie Darwin zu Traditionsunternehmen stünde. Unter „survival of the fittest“ kann man aber auch verstehen, dass man Betriebe, die Generationen durchgefüttert haben, schon mal unter die Arme greifen kann, wenn sie im Strudel von Globalisierung, Digitalisierung, Klima- und Coronakrise ins Straucheln geraten. Im Idealfall ist es auch kein „unter die Arme greifen“ sondern „ein Schwingen heben“ - kraftvoll und bedächtig. Das kann auch durch Kooperationen gelingen: So können traditionelle Unternehmen den erfolgreichen digitalen Emporkömmlingen zuvorkommen und das eigene Geschäftsmodell selbst aufbrechen bzw. entkoppeln. Zur Förderung von eben solchen nachhaltig(en) innovativen Wirtschaftspartnerschaften wurde die Plattform circle17 ins Leben gerufen. Durch diese Initiative werden etablierte Unternehmen, Start-ups und NGOs miteinander vernetzt um gemeinsam neue Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln, die zu den SDGs beitragen.
Auch Thales Teixeira probiert nun sich selbst und seine Theorien am Markt aus: Mit seiner eigenen Beratungsfirma namens decoupling.co übersetzt er die Erkenntnisse zur digitalen Disruption und der Ökonomie der Aufmerksamkeit in die Unternehmenspraxis. Teixeira gründete also selbst sowas wie ein Start-up und richtet sich mit seinem Angebot vor allem an etablierte Unternehmen. Diesen hilft es vielleicht, wenn sie prinzipiell in Start-ups nicht die Zähne fletschenden Bluthunde sehen, sondern die coolen Kids aus der Siedlung gegenüber, die jetzt auch ihre Runden am Spielplatz drehen. Mal schauen, was die anders machen, was die so an neuen Ideen mitbringen und was man von denen lernen kann. Der Spielplatz ist groß genug - wenn man mit offenen Augen, einer Portion Kreativität und einer Prise Mut bereit ist, neue Ecken zu entdecken.
Marie Czuray ist Mitherausgeberin der Publikation „Verantwortungsvolle Unternehmensführung im österreichischen Mittelstand. Vision und Praxis“, erschienen 2019 im Springer Gabler Verlag.
Margarethe Szeless von wesearch. Agentur für Geschichte und Kommunikation befasst sich mit Firmenhistorie als Alleinstellungsmerkmal in der Unternehmenskommunikation.
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